Fotos und Text von unserem Mitglied Birgit Friedl.
Boyan ist mein Name und es ist fraglich, ob mein kleines Kämpferherz heute noch schlagen würde, wenn mich nicht ein aufmerksames Mitglied der Samtpfoten Katzenhilfe Ries e.V. gerettet hätte. Zugegeben – so oder so ähnlich beginnen viele Geschichten. Doch ich möchte behaupten, dass meine eine ausgesprochen abenteuerliche ist.
Sie beginnt an einem schrecklich heißen Sommertag dieses Jahres, etliche Kilometer von der serbisch-bulgarischen Grenze entfernt. Ich befand mich in einer äußerst misslichen Lage. Es war noch heißer als die Tage zuvor, über 30 Grad. Um mich vor Gefahren zu schützen, hatte ich gelernt auf Bäume zu klettern. Da saß ich nun, fernab der nächsten Siedlung, inmitten von Feldern, direkt neben der Straße, auf einem Baum. An einem Ort, an dem nicht damit zu rechnen war, dass jemand an dieser Stelle anhalten, mich finden und mir helfen würde. Wie ich dort hingelangt war, seit wann ich bereits mutterseelenallein ausharren und mich durchschlagen musste, was ich in meinem jungen Leben bereits alles durchgemacht hatte, darüber darf spekuliert werden. Wider Erwarten geschah das Wunder. Eine von der Hitze geplagte Radfahrerin hielt nicht allzu weit von mir entfernt an um sich saftige Mirabellen von den Bäumen zu pflücken. Ich fing an zu schreien, so laut ich nur konnte, unerbittlich, hörte nicht auf bis sie meine verzweifelten Hilferufe bemerkte und begann nach mir zu suchen. Meine Rettung! Die gute Seele entdeckte mich und sie verstand recht schnell, dass ich gar nicht scheu war. Sie nahm mich in ihre Arme, versorgte mich mit Wasser und beschloss mich mitzunehmen, nachdem sie weder meine Mutter noch Geschwister finden konnte. Samt meinen vielen Flöhen steckte sie mich in ihr Hemd und trat in die Pedale. Ich versuchte mehrmals herauszuklettern. Wirklich geheuer war mir das alles nicht, aber mir blieb kaum eine andere Wahl als mich meinem Schicksal zu ergeben. Vor Erschöpfung schlief ich immer wieder ein. Nach einigen Kilometer kamen wir an einen Bauernhof. Die Arbeiter dort waren recht unfreundlich und abweisend, wollten nichts von einem kleinen Kätzchen wissen. Wir fuhren weiter. Meine Retterin beschloss mich zumindest bis zur nächsten Stadt mitzunehmen. Insgesamt zwanzig schweißtreibende Kilometer waren es von meiner Fundstelle bis dorthin.
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… und nun?
Jedes Mal, wenn ich aufwachte und nach unten blickte, wurde mir Angst und Bange. Die großen Fahrzeuge, die uns regelmäßig überholten, jagten mir einen ziemlichen Schrecken ein. Meine Finderin versuchte deshalb so schnell wie möglich zu fahren und wir schienen geradezu über den Asphalt zu fliegen. Der Fahrtwind, der mir um mein kleines Näschen wehte, tat gut bei der Hitze. Am späten Nachmittag kamen wir dann endlich in der Stadt an. Meine Retterin konnte sich denken, dass ich sehr großen Hunger haben musste und steuerte den nächsten Supermarkt an. Auf dem Weg dorthin hielt sie zunächst noch an einem kleinen Kiosk und erkundigte sich, ob es in der Gegend ein Tierheim oder eine Tierschutzorganisation gibt, doch niemand konnte ihr weiterhelfen. Auch das Internet lieferte keine brauchbaren Einträge. Immerhin gab es ganz in der Nähe einige Tierarztpraxen, doch die hatten bereits geschlossen. Sie wollte mich an einem sicheren Ort zurücklassen. Und nun? Die nette Kiosk-Angestellte und eine kleine Runde älterer Männer, die sehr nach Alkohol rochen, versprachen auf das Fahrrad und mich aufzupassen, während meine Retterin beim Discounter um die Ecke Futter für mich kaufen wollte. Sie ließ mich also mit einem etwas mulmigen Gefühl in dem videoüberwachten Wartehäuschen nebenan zurück und machte sich auf den Weg. Es war wohl das Nachtquartier eines Obdachlosen, in dem wir gerade Halt machten. Er verzieh es, dass wir uns neben seinem Hab und Gut breit gemacht hatten und ging seiner Wege. So fix und fertig wie ich war, unternahm ich keinen Versuch wegzulaufen, blieb auf den Fahrradtaschen sitzen bis meine Finderin nach einer Weile mit verschiedensten Schälchen zurückkam und eines davon öffnete. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich Fisch eigentlich nicht mochte. Egal – ich hatte riesengroßen Hunger… Der streunende Hund, der neugierig um mich herumlief, schien freundlich zu sein. Er bekam den kleinen Rest meines Futters, den ich beim besten Willen nicht mehr fressen konnte. Während ich satt da lag und meine Retterin einen Floh nach dem anderen aus meinem Fell fing, versuchte sie herauszufinden, wo wir unser Nachtlager aufschlagen konnten…
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… die erste Nacht im Zelt Die kleine beschauliche Stadt lag direkt am Ufer der Donau. An eben jenem Fluss entlang war meine Finderin mit ihrem Fahrrad unterwegs. Vier Wochen bevor sie mich fand, war sie in ihrer schwäbischen Heimat gestartet. Ihr Plan war es bis zum schwarzen Meer zu radeln. Bis dorthin würden es immer noch weit über 500 Kilometer sein und noch dazu so einige Höhenmeter. Von Deutschland aus war sie über Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien und Serbien bereits bis nach Bulgarien gelangt. Sie war fest entschlossen, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen und sich durch nichts davon abbringen zu lassen. Deshalb hoffte sie, dass sich schnellstmöglich jemand findet, in dessen Obhut sie mich geben konnte. Wie sollte sie mich auf ihrer Tour denn mitnehmen?
Es würde bald dunkel werden. Höchste Zeit, um nach einem geeigneten Platz zum Übernachten zu suchen. Als erfahrene Camperin war sich meine Finderin sicher, dass sie am Fluss bestimmt eine geeignete Stelle finden würde, um dort ihr Zelt aufzustellen. Auf dem Weg zu Strand, den sie auf der Karte ausfindig gemacht hatte, liefen uns so einige Katzen über den Weg. Offenbar gab es hier viele Streuner. Sie sahen alle erstaunlich gut genährt und gesund aus. Das machte Hoffnung, dass sich dort gewiss auch für mich irgendwo ein Platz finden lässt, an dem ich bleiben darf und versorgt werde. Von einem schönen kleinen Park aus führte eine sehr steile Rampe hinab zu einem wirklich idyllischen Strand. Meine Retterin fand schnell eine etwas versteckte Ecke direkt am Fluss, wo wir die Nacht verbringen konnten. Es musste schnell gehen. Damit ich ihr nicht in die Quere komme und weil sie befürchtete, dass ich weglaufen und mich in der Dunkelheit verirren würde, steckte mich kurzerhand in eine Tasche mit Netzeinsatz, die sie zufälligerweise dabei hatte. Ich konnte beobachten, wie sie wild um sich schlug. Sie wurde von oben bis unten von Moskitos gestochen, während sie notdürftig und in Windeseile ihr winziges Zelt aufstellte. So tierlieb meine Finderin auch war, diese Stechmücken mochte sie offenbar nicht; erst recht nicht im Zelt. Einige davon haben es dann doch geschafft sich zu uns hereinzumogeln, die meisten davon haben die Nacht allerdings nicht überlebt
Wir hatten einen anstrengenden und ereignisreichen Tag hinter uns und waren beide ziemlich erschöpft. Draußen wurde es immer dunkler und ich machte es mir bequem, kuschelte mich ganz eng an meine Retterin. Ich fühlte mich sicher. Für den Fall, dass ich Durst bekommen sollte, stellte sie mir noch Wasser hin. Was jedoch fehlte, war ein „stilles Örtchen“ für mich… Es kam mir daher sehr gelegen, dass ich einen kleinen Kochtopf mit einem Stück Stoff darin fand und nutzte ihn kurzentschlossen als Nachttopf. Sie war mir nicht böse…
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… ob sie mich zurücklassen wird?
Vom Zelt aus hatten wir einen wunderbaren Blick auf die Donau. Auf der anderen Seite des Flusses war bereits Rumänien zu sehen. Das letzte der acht Länder, durch das der Donauradweg führt. Meine Retterin wollte ihre Tour so bald wie möglich fortsetzen – ohne mich... Als es hell wurde, fing sie an ihr Zelt abzubauen und alles rasch einzupacken. Bereits am frühen Morgen kamen die ersten Menschen um schwimmen zu gehen. Auch meine Finderin wollte baden gehen und ließ mich währenddessen die Gegend erkunden. Immer wieder rannte ich zu dem Platz zurück, an dem wir unser Notlager aufgeschlagen hatten und schaute, ob sie, ihr Rad und die großen Taschen noch da waren. Sie bemerkte, dass ich fortwährend nach ihr Ausschau hielt und dass ich jedes Mal erleichtert war, sie zu sehen. Bereits am Tag zuvor hatte sie im Internet die Adressen von verschiedenen Tierärzten herausgesucht und wusste nun nicht so recht, zu welchem sie mich bringen sollte. Sie entschied sich für den nächstgelegenen. Nachdem ich mich ausgetobt und vollgefressen hatte, machte sie sich mit mir auf den Weg. Ganz wohl war ihr dabei scheinbar nicht. Nach einigen Umwegen durch die verwinkelten Straßen erreichten wir schließlich die Tierarztpraxis. Jetzt wurde es ernst für mich… Was würde mit mir geschehen? Ob sie mich hier zurücklassen wird?
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… beim Tierarzt
In der Tierarztpraxis war glücklicherweise nicht allzu viel los. Meine Finderin schilderte dem jungen Tierarzt die Situation. Sie erzählte ihm, wie sie mich mitten in der Pampa gefunden hat und dass sie nun einen Platz für mich sucht, wo ich bleiben kann, weil sie mich unmöglich auf ihrer Radtour mitnehmen könne. Er schien etwas ratlos zu wirken und machte ihr wenig Hoffnung. Die Tierschutzorganisationen, die es in Bulgarien gibt, seien seiner Auskunft zufolge alle heillos überfordert. Er gab meiner Retterin zu verstehen, dass sie mich zwar hier lassen kann und dass die Streuner aus der Umgebung täglich von ihm gefüttert werden und frisches Wasser bekommen, er aber nicht dafür garantieren könne, dass es mir dort auf Dauer gut gehen wird. Es seien viele streunende Katzen um die Praxis herum unterwegs, auch ein paar in meinem Alter. Denen könnte ich mich eventuell anschließen. Ich müsste dann allerdings wie sie unter den Autos leben und ein durchaus gefährliches Dasein als Straßenkatze fristen. Das hörte sich nicht nach rosigen Aussichten an. Die einzige Alternative wäre, dass mich meine Finderin mit auf ihre Reise mitnimmt…
Auf jeden Fall wollte mir der nette Tierarzt helfen, daran ließ er keinen Zweifel. Zuallererst setzte er mich auf die Waage in seinem Vorzimmer. Ausgehungert und abgemagert wie ich war, wog ich wohl viel zu wenig für das Alter, auf das er mich schätzte. Die unzähligen Flöhe, die sich trotz der ausgiebigen Flohjagd am Vortag noch immer munter in meinem Fell tummelten, waren nicht zu übersehen. Ehe ich mich versah, packte mich der Tierarzt und benetzte mein struppiges rotes Haarkleid mit einer seltsam riechenden Flüssigkeit, die den lästigen Krabbeltierchen den Garaus machen sollte. Es passte mir so gar nicht, dass er mich von oben bis unten damit nass machte. Ich schrie wie am Spieß um meinen Unmut kundzutun, doch er kannte keine Gnade… Verwurmt war ich mit Sicherheit auch, meinte er und drückte mir eine Paste ins Maul.
Nun musste sich meine Finderin entscheiden, ob sie mich hier lässt oder mich auf ihre Weiterfahrt mitnimmt. Der Tierarzt fragte, wie lange sie bleiben könne und stellte ihr in Aussicht, problemlos alle notwendigen Dokumente für mich zu bekommen. Er könnte mich zwar für eine Weile behalten, aber nicht ewig… Bis sie mit mir die Grenze nach Rumänien passieren kann, müssen natürlich alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt sein, erläuterte er. Das heißt konkret, dass ich bis dahin zwingend ein gewisses Alter, einen Mikrochip, mehrere Impfungen gegen verschiedenste Krankheiten, eine tierärztliche Untersuchung und einen EU-Heimtierausweis mit allen Nachweisen darüber haben muss. Eine passende Transporttasche für mich zu finden, sollte kein Problem sein, führte er zuversichtlich fort. In einem nicht allzu weit entfernten Laden, den er meiner Retterin empfahl, würde sie bestimmt fündig werden. Während nach und nach immer mehr tierische Patienten in der Praxis eintrudelten, wollte der Tierarzt ihr Zeit geben, um über alle Optionen nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen.
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… die Entscheidung
Der Tierarzt hatte ganz offensichtlich ein Herz für Streuner. Die wohlgenährten Hunde, die es sich im Vorraum seiner Praxis gemütlich gemacht hatten, waren ehemalige Straßenhunde, denen er Unterschlupf gewährte. Einer davon hüpfte immer wieder neugierig auf seinen drei Beinen zu uns und den anderen wartenden Menschen und deren Vierbeinern herüber. Meine Finderin erzählte dem Tierarzt, dass sie selbst viele Jahre ehrenamtlich im Tierschutz aktiv war und im Laufe der Zeit unzählig viele Pflegekatzen aufgepäppelt und bis zur Vermittlung betreut hat. Sie sei daher mit den vielen Problemen vertraut, wisse nur zu gut, wie viele tragische Geschichten sich täglich abspielen und welch traurige Schicksale viele herrenlose Tiere ereilen. Oft schutzlos dem Wetter ausgesetzt, ausgemergelt und von Kämpfen, Parasiten und Krankheiten aller Art gezeichnet. Der Tierarzt konnte sich nicht vorstellen, dass es auch in Deutschland ein ewiger Kampf gegen Windmühlen ist, der unkontrollierten Vermehrung von verwilderten Katzen und dem daraus resultierenden Elend entgegenzuwirken. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass auch dort die Tierheime übervoll sind, regelmäßig Aufnahmestopps verhängt werden müssen und Tierschutzorganisationen permanent an ihre Grenzen stoßen. Er wollte es ihr nicht so recht glauben, dass die vielen, vielen Helfer angesichts der immer angespannteren Lage seit der Pandemiezeit umso öfter am Verzweifeln sind, da weit weniger Tiere adoptiert und stattdessen wesentlich mehr abgegeben, ausgesetzt oder gar anderweitig „entsorgt“ werden. Ganz zu schweigen von der Vielzahl an verunglückten Tieren, die oft achtlos liegen gelassen und ihrem Schicksal überlassen werden. Nicht nur privaten Haltern machen die hohen und immer weiter steigenden Kosten zu schaffen, auch Tierschutzorganisationen wissen bald nicht mehr, wie sie helfen sollen. Als wäre die Lage nicht bereits vor Corona schlimm genug gewesen, sind die politischen Entscheidungsträger nach wie vor nicht gewillt, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Meine Retterin gab dem Tierarzt zu verstehen, dass sie es deshalb bisher für ziemlich idiotisch gehalten hat, zudem noch Tiere aus dem Ausland auf- oder mitzunehmen.
Da saß sie nun und musste baldmöglichst eine Entscheidung treffen, was mit mir geschehen sollte. Gedanklich hatte sie mich bereits abgegeben, sah mich mit den anderen Streunern unter den Autos und im Hinterhof der Praxis leben… Sie griff zu ihrem ramponierten Smartphone und wählte eine Nummer. Die Stimme, die sich am anderen Ende der Leitung meldete, kannte ich bereits. Sie hatte seit gestern schon mehrfach mit dieser Bekannten telefoniert. Es war eine Tierfreundin mit Herz und Seele, die sie vor vielen Jahren über die Samtpfoten Ries e.V. kennengelernt hatte. „Nimm ihn mit!“, hörte ich sie schließlich sagen, als meine Retterin ihr die Situation geschildert und über das Für und Wider informiert hatte.
Meine Finderin erklärte dem Tierarzt, dass sie nicht geplant hatte, mit einer Katze auf Reisen zu gehen und sie sich nicht vorstellen kann, wie das funktionieren soll, aber sie will es versuchen. Sie wird mich mitnehmen! Wo auch immer die Reise mit mir nun hinführen würde… Er entgegnete ihr: „Du wolltest ein Abenteuer, nun hast du dein Abenteuer“.
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… Vorbereitungen für die Weiterreise
Meine Retterin hätte es nicht übers Herz gebracht, so ein kleines Kerlchen wie mich wieder auf der Straße auszusetzen. Sie hatte bemerkt, wie sehr ich ihr bereits vertraute und Schutz bei ihr suchte. Nachdem ihr Entschluss gefasst war, dass sie mich behalten wird, bereitete der Tierarzt alles Notwendige für unsere gemeinsame Weiterreise vor. Eine kurze Untersuchung sowie eine erste Wurm- und Flohkur hatte ich ja bereits hinter mir. Als ich mich gerade davon erholt hatte, folgte der nächste Schreck: Der Tierarzt packte mich und rammte mir eine riesengroße Kanüle in den Leib. Ich schrie erbärmlich und erschrocken wie ich war, biss ich meiner Retterin in den Finger. Bei meinem armseligen Anblick nahm sie es mir nicht übel. Der Tierarzt entschuldigte sich bei mir. Es tat ihm leid, er wollte mir keine Schmerzen zufügen, aber er musste es. Ohne den Mikrochip, den er mir gerade gesetzt hatte, dürfte ich nicht reisen. Es sei zu meinem Besten. Tapfer ließ ich auch den nächsten „Piks“, die erste Impfung, über mich ergehen. Anschließend kramte der Tierarzt einen schicken blauen EU-Heimtierpass hervor um alles korrekt einzutragen. Wie ich heiße, wollte er wissen. Meine Finderin hatte sich am Tag zuvor schon viele Gedanken darüber gemacht, welcher Name zu mir passen würde. Bei ihrer Recherche nach typisch bulgarischen Namen war sie auf „Boyan“ gestoßen. Der Name leitet sich vom slawischen Wort „boj“ für Kampf oder Schlacht ab. Das passte. Ein Kämpfer bin ich! Nach etwas Rechenarbeit bekam ich auch noch ein Geburtsdatum. Ich hatte jetzt also einen richtigen Pass und meine Finderin war von nun an ganz offiziell meine Besitzerin – meine neue Mama…
Nach der ganzen Tortur steckte mich der Tierarzt in einen kleinen Käfig. Dort konnte ich die nächsten Stunden bleiben und mich ausruhen. Meine Retterin hatte währenddessen Zeit um alleine loszufahren und eine geeignete Transporttasche für mich zu kaufen. Am späten Nachmittag kam sie mit einem Rucksack mit vielen Netzeinsätzen zurück, der für die nächste Zeit Schutzbunker und Kuschelhöhle während der Fahrt sein würde. Ausgebleicht und eingestaubt wie er war, hatte er wohl schon seit Jahren auf seinen Einsatz gewartet. Damit ich es auch gemütlich habe, bekamen wir noch Einlagen vom Tierarzt geschenkt. Er gab meiner neuen Mama den Tipp, mich und den Rucksack bei der Hitze immer wieder mit Wasser einzusprühen und mit einem Tuch vor der extremen Sonneneinstrahlung zu schützen. Nachdem die Unkosten für meine Behandlung beglichen waren, wies der Tierarzt sie noch darauf hin, sich zu erkundigen, welche weiteren Untersuchungen ich in anderen Ländern eventuell brauche, außerdem die weiteren notwendigen Impfungen nicht zu vergessen und mich im Alter von einem Jahr kastrieren zu lassen. Meine neue Besitzerin konnte ihre Entrüstung nicht verbergen. „Mit einem Jahr?“ fragte sie ungläubig. Der Tierarzt war verwundert über ihr Entsetzen. So lange würde sie keinesfalls mit meiner Kastration warten. Was das für mich bedeuten würde, wusste ich noch nicht, aber ich würde wohl nicht drumherum kommen, wenn ich bis dahin bei ihr bleibe.
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… zurück zum Donaustrand
Meine neue Mama hatte Sorge, dass ich vielleicht irgendwann weglaufen könnte, abenteuerlustig, übermütig und aufgedreht wie junge Katerchen nun mal sind. Der Tierarzt versicherte ihr, dass ich das nicht tun werde. Ob er davon wirklich überzeugt war oder sie nur damit beruhigen wollte? Wer weiß… Roten Katzenkindern wird schließlich nachgesagt, dass sie besonders temperamentvoll sind. Da muss man auf alles gefasst sein. Es war auf jeden Fall an der Zeit weiterzufahren. Ohne Murren machte ich es mir in dem kleinen Rucksack bequem. Meine Mama trug ihn von nun an vor der Brust, damit sie mich immer im Blick hatte und sich jederzeit vergewissern konnte, dass mit mir alles in Ordnung ist und damit auch ich sie sehen konnte. Nachdem sich der nette Tierarzt von uns verabschiedet hatte und sich weiter in die Arbeit stürzte, fuhren wir erst einmal nur bis zum nächsten Café, das gleich um die Ecke war. Meine Mama wollte noch ihr Smartphone und die Powerbank laden und nach der kurzen Verschnaufpause zurück zu dem wirklich schönen Donaustrand. Auf dem Weg dorthin konnte sie an einer sprudelnden Quelle im Park nebenan auch noch unsere Wasservorräte auffüllen. In dem hübschen Städtchen war einiges los. Am Strand angekommen fing meine Retterin sofort an, ihr Zelt aufzubauen. Ich durfte mich währenddessen austoben und durchstreifte neugierig das Gebüsch vor der hohen Mauer, die das Donauufer von der höher liegenden Parkanlage abgrenzte. Es war noch immer ziemlich heiß und die lästigen, angriffslustigen Moskitos vom Vortag zum Glück noch nicht unterwegs. Unser zweiter gemeinsamer Tag ging langsam zu Ende. Mit Einsetzen der Dämmerung waren auch immer weniger Menschen am Strand unterwegs und wir machten es uns im Zelt gemütlich. Ich konnte riechen, dass es während der langen Radtour, die meine Mama bereits hinter sich hatte, schon einige Male von verschiedenen Katern markiert worden war und schnüffelte interessiert in allen Ecken. Lange konnte ich mich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich war total erledigt von den aufregenden Erlebnissen der vergangenen Tage und kuschelte mich nach meinem Abendessen in eine Decke. Mitten in der Nacht wachte ich erschrocken auf und hörte, wie eine Katzenmama unweit von unserem Zelt ihre verzweifelt maunzenden Kinder lockte. Ich riss meine Augen weit auf und schaute meine neue Mama an, die ebenfalls aufgewacht war und mich in den Arm nahm. Sie würde ab jetzt auf mich aufpassen und für mich sorgen. Beruhigt schloss ich meine Augen, legte mich wieder neben sie und schlief ein...
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… die Reise geht weiter
Trotz ihrer Bedenken mich versehentlich zu zerquetschen, musste meine neue Mama einsehen, dass ich nicht in meinem Bettchen bleiben wollte und stattdessen lieber zu ihr unter die Decke kroch. Vor allem in der Früh, wenn es nach der schier unerträglichen Hitze der vorherigen Tage doch unerwartet frisch im Zelt wurde. Tagsüber sagte der Wetterbericht aber auch für die kommenden Tage wieder sehr heißes Wetter voraus.
Als es irgendwann dann an der Zeit war weiterzufahren, sträubte ich mich energisch. Der Ort an dem wir waren, gefiel mir sehr. Die Leute um uns herum schauten etwas komisch, als ich in meinem Rucksack so lautstark motzte, weil ich viel lieber noch länger dort geblieben wäre. Doch hier zurück zu bleiben, ganz auf mich allein gestellt, wäre womöglich sehr gefährlich gewesen und ich sah ein, dass es wohl das Beste für mich war, mit meiner Retterin mitzufahren. In den darauf folgenden Tagen hatten wir dafür viele tolle Begegnungen und Erlebnisse, die ein ganzes Buch füllen würden…
Meine „Reiseleiterin“ hatte eine App auf ihrem Smartphone, die den Weg der geplanten Route bis zum schwarzen Meer vorgab und wohl sehr hilfreich war. Schon in Bulgarien waren die Straßen gefährlich und der „EuroVelo 6“ schlecht ausgeschildert. In Rumänien sollte es noch schlimmer und angsteinflößender werden, denn Radwege gibt es auf der Strecke nicht. Noch dazu hat uns das Navi einige Male ziemlich in die Irre geführt.
Die Fahrt über die Grenze nach Rumänien habe ich verschlafen und wurde von den Grenzbeamten wohl gar nicht bemerkt. Zumindest haben sie mich nicht aufgeweckt und wollten auch keine Papiere von mir sehen. Erst als wir in einem kleinen Park im nächsten Ort einen kurzen Zwischenstopp machten, wurde ich munter. Meine Mama sah es wohl nicht so gern, dass ich anfing, an den giftigen Koniferen herumzuturnen und sie anzuknabbern. Die Holzbänke waren mir zu hoch um hinaufzuspringen, so klein und geschwächt wie ich trotz des vielen guten Fressens seit meiner Rettung noch immer war. Zur Stärkung bot mir eine Frau etwas von ihrem Eis an, das bei den hohen Temperaturen direkt wegschmolz. Als ich vom Herumtollen müde wurde, durfte ich es mir wieder in meinem kleinen Rucksack bequem machen und wir fuhren weiter. Allzu weit kamen wir jedoch nicht. Die Fahrt war anstrengend und auch der Fahrtwind verschaffte bei der Hitze kaum Abkühlung. Wenn wir nicht gerade mit dem Rad unterwegs waren, passte meine Mama wie ein Luchs auf mich auf, damit ich keinen Blödsinn anstellte und mir nichts passiert. Dementsprechend müde war sie und brauchte eine Pause. Bei 35 Grad suchten wir Zuflucht im Schatten einer orthodoxen Kirche. Als wir beide total erschöpft auf der kleinen Wiese hinter diesem großen Gotteshaus saßen und hofften, dass die schlimmste Mittagshitze bald vorbeigeht, kam der Priester auf uns zu. Als sich der nette Mann von uns verabschiedete, schenkte er uns für unseren weiteren Weg verschiedene Glücks- und Segensbringer und noch dazu ein paar bunte Scheine… Es schien ein gutes Omen zu sein, dass wir genau dort Halt gemacht haben.
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… die ersten Tage in Rumänien
Rumänien war so ganz anders als Bulgarien. In den kleinen Dörfern, durch die wir fuhren, sorgten wir für Aufmerksamkeit. Radreisende mit großen Gepäcktaschen kamen dort wohl eher selten vorbei. Immer wieder winkten uns Menschen, die es sich auf Bänken und Stühlen im Schatten der Bäume vor ihren Häusern gemütlich gemacht hatten und grüßten uns freundlich. Wir trafen während unserer Reise viele überaus hilfsbereite und gastfreundliche Leute, vor allem auf dem Land. Die zahlreichen tiefen Brunnenlöcher, die es da gibt, bedeuteten für meine Mama allerdings jedes Mal permanenten Stress, wenn sie mich laufen ließ. Sie hatte sehr große Angst, dass ich hineinfallen und ertrinken könnte. Ich fürchtete mich mehr vor den riesengroßen schwarz-weißen Vögeln, die ab und an über uns hinweg flogen. Viele von ihnen litten wohl auch sehr unter der extremen Hitze und saßen mit aufgerissenen Schnäbeln in den gigantischen Nestern, die die Straßen säumten. Nicht nur an das Klappern der Störche musste ich mich erst gewöhnen, sondern auch an das Klappern der Hufe von Pferden und die Gespanne, die von den Vierbeinern zogen wurden. Besonders furchteinflößend waren die Hunde, die uns einige Male kläffend und Zähne fletschend verfolgten. Für die erste Nacht in Rumänien stellten wir unser Zelt in einem abgeernteten Stoppelfeld auf. Weit weg vom nächsten Ort, um möglichst keine Bekanntschaft mit unfreundlichen Hunden zu machen, dafür zwischen ganz vielen Mäuselöchern. Naja, so wie unser kleines grünes „Tiny House“ nach Katze duftete, war zu erwarten, dass die kleinen Nager Reißaus nehmen und es nicht wagen werden, uns zu stören…
Der Tag darauf fing gut an. Im nächsten Dorf machten wir Halt an einem kleinen Café. Die nette Frau, die dort arbeitete, war so schockverliebt in mich, dass sie uns einlud. Nachdem ich neugierig jedes Eck des eingezäunten Bereichs mit Tischen und Stühlen erkundet und meine Mama sich angeregt unterhalten und ihren Kaffee getrunken hatte, machten wir uns wieder auf den Weg. Um die Mittagszeit kamen wir einmal mehr an einer alten Kirche vorbei. Auch dort wurden wir mit offenen Armen begrüßt. Der Priester holte für uns extra ein paar Gartenmöbel, damit wir es uns während der Mittagspause im Schatten bequem machen konnten. Die Frau des Geistlichen meinte es besonders gut mit mir und kredenzte mir zwei fangfrische Fische, auf die sich ihre eigenen Katzen geradezu stürzten. Doch ich wusste ehrlich gesagt nichts damit anzufangen und überließ sie den beiden Katern, die angerannt kamen und sich umso mehr darüber freuten. Vorsichtshalber fauchte und knurrte ich, damit die beiden nicht auf die Idee kommen mich zu ärgern, obwohl sie das offenbar gar nicht vorhatten. Sie ließen sich von meinem Auftritt nicht beeindrucken und schauten gleichgültig drein. Im Garten hinter der Kirche war ein großer Auslauf für die Federtiere der Familie. Die Frau erklärte, dass sie so viele Puten hat, weil sie gerne kocht. Was auch immer sie damit gemeint hat… Als meine Mama ihre Akkus geladen hatte und unsere Wasservorräte aufgefüllt waren, ging es weiter. Die Hitze machte uns beiden sehr zu schaffen. Der dunkle Asphalt der Straße heizte sich extrem auf, Schatten spendende Bäume waren rar. Wenn ein großer Baum zu finden war, machten wir einen kurzen Zwischenstopp um etwas zu trinken. Meine Mama hat gesagt, dass sie selten in ihrem Leben so geschwitzt hat. Mich und meinen Rucksack machte sie immer wieder mit Wasser nass, damit ich keinen Hitzschlag bekomme. Selbst als es schon zu dämmern begann, war es immer noch unglaublich heiß und wir hielten Ausschau nach einem geeigneten Schlafplatz. An einer Tankstelle fragten wir nach, ob wir vielleicht gegenüber in den Feldern campen dürfen. Eine nette Frau, die dort arbeitete, hat stattdessen angeboten, dass wir auch in einer alten leerstehenden Wohnung übernachten können. Das hörte sich doch gut an. Leider war es drinnen noch heißer als draußen, aber immerhin waren wir sicher vor den vielen Hunden, die man in der Umgebung bellen hörte und ich konnte die ganze Nacht herumrennen und Käfer jagen…
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… weiter Richtung Osten
Ganz früh morgens machten wir uns wieder der Sonne entgegen auf den Weg Richtung Osten um noch vor der Mittagshitze möglichst weit zu kommen. Als Wegzehrung bekam meine Mama noch ein paar Äpfel aus dem Garten hinter der Tankstelle geschenkt. Den ersten längeren Stopp machten wir, wie hätte es anders sein können, mal wieder an einer Kirche mit kleinem Garten. Ich wurde immer aufgedrehter und hatte immer mehr Energie zum Toben, seit ich mich nicht mehr mit meinen lästigen Parasiten herumärgern musste und jeden Tag ganz viel gutes Futter bekam. Meine Mama kam dafür nun gar nicht mehr zum Kochen und konnte kaum in Ruhe essen, weil sie immer ein Auge auf mich haben musste. Trotz der gefährlichen Straße und dem tiefen Brunnen neben der Kirche wollte ich raus aus meinem Rucksack und mich bewegen. Ich quengelte so lange, bis ich herumfetzen durfte. Als uns der Priester sah, lud er uns in eine kleine Stube nebenan ein. Dort war ich erst einmal in Sicherheit und konnte nicht ausbüchsen, während der nette Mann verschwand und kurz darauf mit zwei Bechern Kaffee zurückkam. Er konnte gar nicht so schnell schauen, wie ich mich auf sein fast leeres Becherchen mit Kaffeesahne stürzte und gierig die letzten Tropfen ausschleckte. Als meine Mama das sah, überließ sie mir netterweise ihre Kaffeesahne und trank den Kaffee schwarz. Sie lachte. Beim Blick auf das kleine Behältnis mit der Kaffeesahne, die mir so ausgesprochen gut schmeckte, sah sie, dass sie von einer Molkerei aus ihrer schwäbischen Heimat war. Nach diesem tollen Gaumenschmaus ließ ich mich schließlich überreden, wieder brav in meinem Rucksack zu bleiben und wir konnten weiterfahren. Die nächste Stadt, die wir erreichten, wirkte wenig einladend. Recht schäbig und heruntergekommen. Die Menschen, die uns dort begegneten, waren teilweise sehr mürrisch und weniger freundlich als auf dem Land. Ein paar nette Leute trafen wir dann aber doch. Neben einem größeren Park, den ich erkunden durfte, fanden wir ein öffentliches Gebäude, eine Sportstätte. Die Tür zum Foyer stand offen. Da drin war es angenehm kühl, es gab dort gutes Wasser und ich konnte noch eine ganze Weile herumrennen bevor wir weiterfuhren…
Fortsetzung folgt…
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Puh... kurze Verschnaufpause für mich...
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